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  • AutorenbildNikolaus Handig

Gerichtsverfahren: mit oder ohne Öffentlichkeit?

„Geheimjustiz im 21. Jahrhundert“, twitterte Florian Klenk, Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung „Falter“. Warum? Weil in einem Finanzstrafprozess gegen den Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser Zuschauerinnen und Medienleute den Verhandlungssaal verlassen mussten, also vom Verfahren ausgeschlossen wurden. Dabei steht doch sogar in der Verfassung, konkret in Artikel 90 Absatz 1 Bundes-Verfassungsgesetz: „Die Verhandlungen in Zivil- und Strafrechtssachen vor dem erkennenden ordentlichen Gericht sind mündlich und öffentlich.“


Wie so oft ist es auch hier ratsam, weiterzulesen. Im Satz danach steht nämlich: „Ausnahmen bestimmt das Gesetz.“ Grundsätzlich sind Gerichtsverfahren also öffentlich, unabhängig davon, ob es sich um Zivil- (z. B Schadenersatz wegen eines Autounfalls), Straf- (z. B. ein Verfahren wegen Körperverletzung) oder Öffentliches Recht (z. B. ein Rechtsmittel gegen einen negativen Asylbescheid) handelt. Anders ist das bei Verfahren vor Verwaltungsbehörden, die nicht öffentlich sind. Aber was bedeutet sie eigentlich, diese Öffentlichkeit?

Öffentlichkeit für alle oder manche

Wenn von Öffentlichkeit die Rede ist, dann ist meistens die sogenannte Volksöffentlichkeit gemeint. Die bedeutet, dass jede und jeder die mündliche Verhandlung vor einem Gericht besuchen und auch darüber berichten kann. Die Idee dahinter ist, dass die Anwesenheit der Allgemeinheit eine gewisse Kontrolle der Gerichtsverfahren bewirkt und so rechtmäßige Verfahren gewährleistet.


Praktische Voraussetzung dafür ist genügend Platz im Gerichtssaal, aber der ist in den allermeisten Fällen vorhanden, weil viele Verfahren ohne Zuschauerinnen stattfinden. Wichtig zu wissen ist auch, dass man von Verhandlungen keine Foto- oder Videoaufnahmen machen darf. Der Livestream einer Gerichtsverhandlung auf YouTube, wie das etwa im Depp vs. Heard-Prozess in den USA der Fall war, wäre in Österreich also nicht möglich.


Von dieser Volksöffentlichkeit zu unterscheiden ist die Parteiöffentlichkeit, die bedeutet, dass die Parteien eines Prozesses (also zB Klägerin und Beklagte oder eine Angeklagte) von den Verfahrensvorgängen informiert werden, selbst an Verhandlungen teilnehmen und die entsprechenden Akten einsehen können. Sie besteht auch dann, wenn die Volksöffentlichkeit ausgeschlossen wurde und ist nur sehr selten und geringfügig eingeschränkt (z. B. können minderjährige Zeuginnen unter bestimmten Umständen abgesondert befragt werden). Nicht öffentlich, sondern geheim, sind die Beratungen und Abstimmungen, die ein Richterinnensenat vornimmt.



Bitte draußen bleiben

Die Volksöffentlichkeit kann aus bestimmten, im Gesetz angeführten Gründen ausgeschlossen werden. Manche Angelegenheiten, beispielsweise Eheverfahren, sind per se nicht öffentlich. Wird die grundsätzlich vorgesehene Öffentlichkeit ausgeschlossen, so kann das auf zwei Arten geschehen: entweder von Amts wegen (das Gericht handelt aus Eigeninitiative) oder auf Antrag von Verfahrensparteien.


Für Zivilprozesse etwa sieht § 172 der Zivilprozessordnung vor, dass die Öffentlichkeit amtswegig auszuschließen ist, „wenn durch sie die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung gefährdet erscheint“. Das könnte beispielsweise der Fall sein, wenn die sexuelle Intimsphäre einer Zeugin betroffen ist. Auf Antrag auch nur einer Partei dagegen kann die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden, um ihr Familienleben oder ihre Geschäftsgeheimnisse zu schützen. Wird die Öffentlichkeit zu Unrecht ausgeschlossen, also ohne Vorliegen der notwendigen Voraussetzungen, ist die Entscheidung des Gerichts mit einem schweren Fehler behaftet, einem sogenannten Nichtigkeitsgrund.


Das gilt auch für Strafverfahren, für die grundsätzlich ebenso Öffentlichkeit vorgesehen ist. Allerdings kann sie hier ebenfalls von Amts wegen oder auf Antrag ausgeschlossen werden. Etwa wegen der Erörterung des persönlichen Lebensbereiches einer Angeklagten oder zum Schutz der Identität einer Zeugin. Die Verkündung des Urteils hat im Strafprozess jedoch stets öffentlich stattzufinden.


Ausschluss ohne Grund?

Das jüngste Verfahren von Karl-Heinz Grasser betraf bzw. betrifft das Finanzstrafrecht. Auch in Finanzstrafverfahren kann die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden, und zwar dann, „wenn der Angeklagte und die Nebenbeteiligten es übereinstimmend verlangen“ (§ 213 Absatz 1 litera a Finanzstrafgesetz). Genau das ist geschehen: Grasser und sein damaliger Steuerberater, nun ebenfalls angeklagt, haben gemeinsam den Ausschluss der Öffentlichkeit beantragt. Eine besondere Begründung war dafür nicht notwendig, weil das Gesetz eine solche nicht verlangt. Dass diese Rechtslage verfassungskonform ist, bezweifelt der Verfassungsjurist Heinz Mayer. Ein Ausschluss der Öffentlichkeit müsse nämlich mit Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention übereinstimmen, der verlangt, dass die Öffentlichkeit nur aus konkreten Gründen ausgeschlossen werden kann. Möglicherweise wird darüber in näherer Zukunft der Verfassungsgerichtshof entscheiden: Laut Florian Klenk will der „Falter“ einen Individualantrag an den Verfassungsgerichtshof stellen und die Bestimmung dadurch bekämpfen.


Kurz gesagt:

  • Wenn von der Öffentlichkeit in Gerichtsverfahren die Rede ist, dann wird zumeist die sogenannte Volksöffentlichkeit gemeint. Die gewährleistet, dass jede und jeder die mündliche Verhandlung vor einem Gericht besuchen und auch darüber berichten kann – sofern genügend Platz im Saal ist.

  • Verschiedene gesetzliche Ausnahmen sehen vor, dass die (Volks-)Öffentlichkeit entweder amtswegig (auf Eigeninitiative des Gerichts) oder auf Antrag von Beteiligten ausgeschlossen werden kann. Bei bestimmten Verfahrensarten ist überhaupt keine Öffentlichkeit vorgesehen.

  • Im jüngsten Finanzstrafprozess um Karl-Heinz Grasser wird die Verfassungsmäßigkeit der angewendeten Ausschlussbestimmung angezweifelt, weil sie den Ausschluss der Öffentlichkeit vom Verfahren ohne Angabe konkreter Gründe erlaubt.

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