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AutorenbildNikolaus Handig

Warum das ORF-Gesetz teilweise verfassungswidrig ist

Der Verfassungsgerichtshof hat Teile des ORF-Gesetzes aufgehoben: Die Regelungen zur Bestellung und Zusammensetzung von Stiftungsrat und Publikumsrat sind in mancher Hinsicht verfassungswidrig. Aber wieso? Wie kam es dazu? Was bedeutet das für den ORF? Und was hat das Burgenland damit zu tun? Antworten auf diese und weitere Fragen bietet dieser Beitrag.


Begonnen hat alles mit einem Antrag auf Gesetzesprüfung. Einen solchen können gegen ein Bundesgesetz z. B Gerichte, ein Drittel der Mitglieder des Nationalrats und unter Umständen Einzelpersonen beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) einbringen. Oder auch eine Landesregierung – und das war hier der Fall: Die burgenländische Landesregierung beantragte gemäß Artikel 140 Absatz 1 Ziffer 2 des Bundes-Verfassungsgesetzes, einzelne Bestimmungen des Bundesgesetzes über den Österreichischen Rundfunk (ORF-Gesetz) aufzuheben.

Ein ORF, zwei Räte, viel Kritik Konkret angefochten wurden die Regelungen zur Bestellung des Stiftungs- und des Publikumsrats. Der Stiftungsrat ist eine Art Kontrollgremium (er prüft etwa den Jahresabschluss), das aber auch eine Leitungsfunktion hat: Er bestellt z. B. die Generaldirektorin des ORF, also sozusagen dessen oberste Chefin. Der Publikumsrat wiederum soll die Interessen der Hörer- und Seherinnen wahren. Wie? Etwa indem er Empfehlungen im Hinblick auf die Programmgestaltung des ORF abgibt.


Betreffend die Bestellung der Mitglieder des Stiftungsrats kritisierte die burgenländische Landesregierung vor dem VfGH insbesondere, dass die Bundesregierung zu viel Einfluss habe. Der VfGH gab ihr Recht – aber nur teilweise. Denn den Umstand, dass die Bundesregierung Stiftungsratsmitglieder bestellt, hielt der Gerichtshof nicht nur für unproblematisch, sondern sogar für demokratisch geboten. Dass die Bundesregierung jedoch mehr Mitglieder in den Stiftungsrat entsenden kann, als es dem Publikumsrat zusteht, verstößt laut VfGH aber gegen das rundfunkverfassungsrechtliche Gebot des Pluralismus.


An der Bestellung der Mitglieder des Publikumsrats kritisierte Burgenlands Landesregierung vor allem, dass die Bundeskanzlerin bzw. die Medienministerin die Mehrheit der Mitglieder (17 von 30) bestellen kann. Das sah auch der VfGH so: Er ortete einen Verstoß gegen das rundfunkverfassungsrechtliche Gebot der Unabhängigkeit sowie gegen jenes des Pluralismus. Aber wo kommen diese beide Gebote überhaupt her, auf die sich das Höchstgericht in seiner Entscheidung mehrfach beruft?


Unabhängigkeit und Pluralismus sind (verfassungs)garantiert

Der VfGH leitet diese beiden Gebote aus dem Bundesverfassungsgesetz über die Sicherung der Unabhängigkeit des Rundfunks ab (… ja, es gibt wirklich für so ziemlich alles ein eigenes Gesetz). Dessen Artikel I Absatz 2 verkündet geradezu feierlich, dass „Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Berücksichtigung der Meinungsvielfalt, die Ausgewogenheit der Programme sowie die Unabhängigkeit der Personen und Organe, die mit der Besorgung [des Rundfunks] betraut sind“, gewährleistet sein müssen.


Die sogenannte rundfunkverfassungsrechtliche Unabhängigkeitsgarantie schützt den ORF und seine Organe vor Einflussnahmen und Abhängigkeiten. Und das Pluralismusgebot gibt für die Organisation von Stiftungs- und Publikumsrat vor, dass die beiden Gremien nicht einseitig durch eine Person(engruppe) dominiert werden dürfen. Weil diese verfassungsrechtlichen Anforderungen durch die momentane Rechtslage nicht vollständig erfüllt werden, hob der VfGH die verfassungswidrigen Bestimmungen auf. Dabei sah es der VfGH unter anderem auch als problematisch an, dass ein Stiftungsratsmitglied abberufen werden kann, wenn es eine neue Bundesregierung gibt, weil das „politische Umfärbung“ ermögliche – was der nicht der Unabhängigkeitsgarantie entspreche.


Unmittelbare Auswirkungen auf den ORF hat die Entscheidung nun nicht – es sind also z. B. keine Sendepausen zu befürchten. Überhaupt gilt die Aufhebung der Bestimmungen erst mit dem 31. März 2025. Bis dahin sollten neue Regelungen beschlossen werden, die sich an den Vorgaben des VfGH orientieren. Derweil geht es weiter wie bisher.


Kurz gesagt

  • Der VfGH leitet aus dem Bundesverfassungsgesetz über die Sicherung der Unabhängigkeit des Rundfunks die rundfunkverfassungsrechtlichen Gebote der Unabhängigkeit und des Pluralismus ab.

  • Die geltenden Bestimmungen des ORF-Gesetzes zur Bestellung des Stiftungs- bzw. des Publikumsrates sind unter anderem deshalb verfassungswidrig, weil einerseits der Bundesregierung und anderseits der Bundeskanzlerin bzw. Medienministerin zu viel Einfluss zukommt.

  • Die Bestimmungen, die der VfGH für verfassungswidrig erklärt hat, gelten noch bis zum 31. März 2025 – bis dahin sollten entsprechende neue Regelungen erlassen werden.

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