Klimaschutz als Menschenrecht
Diesen Dienstag traf der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Entscheidung zu einer Klimaklage der Schweizer KlimaSeniorinnen, die als „historischer Wendepunkt“ bezeichnet wird. Was steht dahinter?
Der Klimawandel ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Seit Jahren werden von unterschiedlichen Seiten Klimaschutzmaßnahmen gefordert. Laut Ansicht vieler sind Politik bzw. der Gesetzgeber (also in Österreich insbesondere der Nationalrat) allerdings nicht ausreichend aktiv geworden. Hierzulande gibt es etwa seit 2020 kein wirksames Klimaschutzgesetz mehr (nachzulesen hier). Klimaklagen sind eine Option, um die Politik zum Handeln zu bewegen. Klimaklagen sind meist darauf gerichtet, einen Staat zur Umsetzung von Maßnahmen zu „zwingen“. Solche Klagen waren bereits in Deutschland und den Niederlanden erfolgreich, in Österreich allerdings nicht.
Nun hat auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) über mehrere Klimaklagen entschieden. Der EGMR ist zuständig zur Entscheidung über Verletzungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Die EMRK ist ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen den Mitgliedsstaaten des Europarats. In Österreich hat die EMRK eine besondere Stellung. Sie gilt nicht nur aufgrund eines Gesetzes, sondern ist sogar Teil der österreichischen Verfassung. Sie ist der wichtigste österreichische Grundrechtskatalog und garantiert die Menschenrechte in Österreich.
Am Dienstag entschied der EGMR also über drei Klimaklagen. Eine der Klagen war erfolgreich, nämlich jene des Vereins „KlimaSeniorinnen Schweiz“: Der Verein brachte vor, dass seine Mitglieder (wenig überraschend: Seniorinnen) von den Konsequenzen des Klimawandels besonders betroffen seien. Der Schweizer Gesetzgeber setze nicht genug Maßnahmen, um den Klimawandel abzuschwächen. Der EGMR gab dem Verein KlimaSeniorinnen Recht und stellte fest, dass die Schweiz Artikel 8 EMRK verletzt, weil sie nicht genügend Maßnahmen gesetzt hat.
Artikel 8 Absatz 1 EMRK bestimmt:
„(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.“
Der Wortlaut der Bestimmung ist sehr allgemein. Ein Recht auf Klimaschutz findet sich nicht ausdrücklich in der Bestimmung. So ein Recht wurde bisher auch nicht hineingelesen. Der EGMR legt die EMRK jedoch sehr weit aus. Dahinter steht die Auffassung, dass die EMRK ein lebendiges Instrument ist, das im Lichte der heutigen Verhältnisse zu interpretieren ist. In der gegenständlichen Entscheidung führte der EGMR aus, dass er die drängenden wissenschaftlichen Beweise und den wachsenden internationalen Konsens hinsichtlich der kritischen Auswirkungen des Klimawandels auf die Ausübung der Menschenrechte nicht ignorieren könne.
Vor diesem Hintergrund und auf Grundlage seiner bisherigen Rechtsprechung zu Grundrechtseinschränkungen durch Umwelteinflüsse entschied der EGMR Historisches. Er sprach das erste Mal aus, dass Artikel 8 EMRK so verstanden werden muss, dass er das Recht der Einzelnen auf wirksamen Schutz durch die staatlichen Behörden vor schwerwiegenden nachteiligen Auswirkungen des Klimawandels auf ihr Leben, ihre Gesundheit, ihr Wohlergehen und ihre Lebensqualität umfasst. Zusammengefasst kann man dies als ein Recht auf Klimaschutz bezeichnen.
Weiters entschied der EGMR, dass es in diesem Zusammenhang die vorrangige Pflicht des Staates sei, Regelungen und Maßnahmen zu erlassen und in der Praxis wirksam anzuwenden, die geeignet sind, die bestehenden und potenziell unumkehrbaren künftigen Auswirkungen des Klimawandels abzumildern. Es handelt sich hierbei um eine positive Gewährleistungspflicht, die den Staat bzw. den Gesetzgeber zum Handeln verpflichtet. Bei der konkreten Umsetzung kommt dem Gesetzgeber allerding ein Gestaltungspielraum zu.
Der EGMR wurde sogar noch konkreter: Jeder Vertragsstaat der EMRK müsse Maßnahmen zur wesentlichen und schrittweisen Verringerung seiner jeweiligen Treibhausgasemissionen ergreifen, um grundsätzlich innerhalb der nächsten drei Jahrzehnte Treibhausgas-Neutralität zu erreichen. Damit künftige Generationen nicht unverhältnismäßig belastet werden, müssen außerdem sofortige Maßnahmen ergriffen und angemessene Zwischenziele für die Verringerung der Belastung in der Zeit bis dahin festgelegt werden. Solche Maßnahmen sollten in erster Linie in einen verbindlichen Rechtsrahmen auf nationaler Ebene aufgenommen werden, gefolgt von einer angemessenen Umsetzung.
Es ist zu erwarten, dass im Licht dieser Entscheidung viele neue Verfahren vor den nationalen (Verfassungs-)Gerichten eingeleitet werden, um Staaten zum Handeln zu verpflichten.
Kurz gesagt:
Klimaklagen sind eine Option, um die Politik zum Handeln zu bewegen. Sie sind meist darauf gerichtet, den Staat zur Umsetzung von Maßnahmen zu „zwingen“. Solche Klagen waren bereits in Deutschland und den Niederlanden erfolgreich, in Österreich jedoch nicht.
Der EGMR legt die EMRK sehr weit aus. Er versteht die EMRK als ein lebendiges Instrument, das im Licht der heutigen Verhältnisse zu interpretieren ist.
Der EGMR entschied das erste Mal, dass Artikel 8 EMRK ein Recht auf Klimaschutz beinhaltet.
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