Hass im Netz: Zwischen Menschenwürde und Meinungsfreiheit
Der Suizid einer oberösterreichischen Ärztin beschäftigt die Republik. Nachdem sich Dr.in Lisa-Maria Kellermayr auf Twitter positioniert hatte, wurde sie als „Impf-Hexe“ zum Ziel der radikalen Corona-Leugnerinnen-Szene. Nach monatelanger Konfrontation mit Morddrohungen sah sich die Ärztin aufgrund zu hoher Sicherheitskosten gezwungen ihre Praxis zu schließen. Der Hass konzentrierte sich vor allem in Telegram-Gruppen, wo er sogar nach ihrem Tod weiter geschürt wird. Die Frage, die offen bleibt: Wie konnte es so weit kommen und warum hat der österreichische Staat trotz vermehrter Hilferufe nicht eingegriffen?
Schwerwiegende Auswirkungen und grundrechtliches Spannungsverhältnis
Beleidigungen und Unwahrheiten über Personen im Internet zeichnen sich durch ihre rasante Verbreitung und die Möglichkeit der Anonymisierung aus. Es ist meistens nur sehr schwer möglich diese endgültig zu löschen. Der Verlust der Kontrolle über das eigene Außenbild in einer digitalisierten Welt kann die Menschenwürde der betroffenen Person verletzen. Der Staat hat die Pflicht, Menschen in seinem Einflussbereich vor (menschenunwürdigen) Eingriffen in ihr Privatleben zu schützen. Das Privat- und Familienleben wird von Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtserklärung (EMRK) geschützt. Auf der anderen Seite sind allerdings das Grundrecht auf Meinungsfreiheit sowie die Netzneutralität, also die Gleichbehandlung von Daten und den diskriminierungsfreien Zugang zu ihnen, zu beachten. Im Ergebnis ist, wie so oft, eine Abwägung zwischen verschiedenen Menschenrechten vorzunehmen.
Die Rechtslage im Überblick
Welche Regeln gelten bei Hass im Netz? Nach Einführung des Hass-im-Netz-Bekämpfungsgesetzes mit Anfang 2021: Viele. Je nach Intensität des Eingriffs können zahlreiche Bestimmungen relevant sein. Den wesentlichen Maßstab bildet dabei die Menschenwürde.
„Einfache“ Beleidigungen können jedenfalls als Verletzung des Persönlichkeitsrechts verfolgt werden. Dabei steht eine Unterlassungsklage, also eine Klage bei der eine Klägerin eine gegenwärtige oder zukünftige Beeinträchtigung ihrer Rechte abwehren will, gegen den Verfasser, aber auch jede Person, die den Inhalt weiterverbreitet (das Posting teilt) zu. Darüber hinaus kann sogar die Plattform selbst nach zuvor erfolgter Abmahnung belangt werden. Jede größere Plattform hat ein Meldungsverfahren einzurichten und ist verpflichtet rechtswidrige Postings binnen 24 Stunden zu löschen. Ein Beispiel der Internet Ombudsstelle: „Du verfickter Hurensohn“.
Bei „erheblicher“ Beeinträchtigung der Menschenwürde steht ein kostengünstiges Eilverfahren zur Verfügung. Dabei kann mithilfe eines Formulars online oder beim Bezirksgericht eine Entscheidung (Unterlassungsauftrag) bewirkt werden. Ein Beispiel der Internet Ombudsstelle: „Größe 36?? Das glaubt dir kein Mensch, du fette Sau. Das Kleid passt nicht einmal über eine Arschhälfte. LOL. Du solltest froh sein, wenn es dir jemand gegen Bezahlung besorgt. Würde dir ganz tun, einmal von allen Seiten durchgevögelt zu werden.“ Bei besonders schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzungen besteht zusätzlich zum Unterlassungsauftrag die Möglichkeit des sofortigen Löschungsauftrags. Unter bestimmten Voraussetzungen können darüber hinaus Straftatbestände erfüllt sein, wie zum Beispiel Verhetzung, Verleumdung, „Cyber-Stalking“, „Cyber-Mobbing“, Üble Nachrede und Beleidigung. Zum Beispiel drohen bei Verhetzung bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe. Oft liegt die Schwierigkeit schon in der Anonymität der Beklagten. Ist der Name der Verfasserin nicht bekannt, besteht allerdings das Recht, bei der Plattform Name und Adresse zu erfragen.
Mangelhafte Anwendung der Behörden und fehlende Kooperation der Plattformen
Der Fall Kellermayr zeigt, dass die gesetzlichen Regelungen sind nicht das Problem sind. Viel eher wurde von den Ermittlungsbehörden verabsäumt, den Fall ernst zu nehmen und zu verfolgen. Alleine der Verdacht auf „Cyber-Mobbing“ hätte zu ernsthaften Nachforschungen führen müssen. Nach Expertinnenmeinung zeichnet sich das Behördenversagen in erster Linie durch mangelnde Sensibilisierung und Spezialisierungen als auch fehlende Rechtskenntnis aus.
Seit 2021 gilt auch das sogenannte Kommunikationsplattformen-Gesetz. Nach diesem drohen bei Nichteinhaltung diverser Vorgaben – so auch die nicht rechtzeitig erfolgte Löschung gemeldeter rechtswidriger Kommentare – für Plattformen ab einer bestimmten Umsatzgröße Strafen in Millionenhöhe. Ebenso muss eine Zustellbevollmächtigte im Inland bekannt gegeben werden, an den die Zustellungen gehen müssen. Das klingt in der Theorie schön und gut, in der Praxis lassen sich die Big Player aber leider oft nicht davon beeindrucken. Telegram sieht sich zum Beispiel entgegen der Einschätzung der Kommunikationsbehörde Austria selbst nicht als Plattform und fühlt sich somit nicht zur Einhaltung der Regelungen verpflichtet. Von Seiten des Messengerdienstes wurde bis heute jegliche Kommunikation mit den Behörden verweigert.
Hilfe kommt jedoch womöglich bald von der EU: Am 5. Juli 2022 hat das Europäische Parlament dem Digital Service Act zugestimmt, der ein europaweites Vorgehen in der Bekämpfung gegen Hass im Netz vorsieht. Zu hoffen bleibt, dass die großen Plattformen dadurch unter Druck geraten und reagieren.
Kurz gesagt:
Der Verlust der Kontrolle über das eigene Außenbild im Internet verletzt die Menschenwürde der betroffenen Person. Der Staat ist verpflichtet, vor diesen Eingriffen zu schützen. Regulierungen unterliegen einer Abwägung mehrere Menschenrechte (Stichwort: Meinungsfreiheit).
In Österreich gibt es einen umfassenden Rechtsschutz gegen Hass im Netz. Dabei sind je nach Intensität des Eingriffs sowohl zivilrechtliche als auch zahlreiche strafrechtliche Tatbestände relevant.
Nicht die Gesetze sind das Problem. Viel mehr scheitert der Kampf gegen Hass in Netz an der mangelhaften Anwendung durch die Behörden und an der fehlenden Kooperation der Plattformen. Ein europaweites Vorgehen bietet Hoffnung.
Info:
Die Beratungsstelle #GegenHassimNetz bietet kostenlose Beratung zu allen Anfragen.
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