Taxono-wie? Warum Erdgas und Atomkraft plötzlich nachhaltig sind
Finanzmarkt und Klimawandel – Wo ist der Zusammenhang?
Überall auf der Welt macht sich der Klimawandel auf immer dramatischere Weise bemerkbar – zunehmend energisch fordern Klimaschützerinnen daher politisches Handeln ein. Diese Botschaft dürfte seit einiger Zeit auch in den Institutionen der Europäischen Union angekommen sein, die sich etwa den Zielen des Pariser Klimaübereinkommens verschrieben hat.
Doch wie sollen die im Pariser Vertrag verankerten Ziele – allen voran die Beschränkung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius – erreicht werden? Eine Lösungsstrategie sieht die EU offenbar in der Regulierung des internationalen Finanzmarktes. Sie hat deshalb schon 2018 einen „Aktionsplan für nachhaltiges Finanzwesen“ vorgelegt. Dieser will private Unternehmen zu nachhaltigen Investitionen in umweltfreundliche Unternehmen motivieren.
Dafür hat die EU zwei wichtige Rechtsakte erlassen: die sogenannte Taxonomie- und die Offenlegungsverordnung. Die Taxonomie-Verordnung legt fest, welche wirtschaftlichen Tätigkeiten ökologisch nachhaltig sind. Nachhaltig ist eine Tätigkeit – vereinfacht gesagt – dann, wenn sie zur Verwirklichung von Umweltzielen (zB Klimaschutz, Vermeidung von Umweltverschmutzung …) einen wesentlichen Beitrag leistet.
An diese Klassifizierung knüpft die Offenlegungsverordnung an: Sie verpflichtet etwa Banken oder Fonds, die Aktien und andere Finanzprodukte anbieten, ihre Kundinnen darüber aufzuklären, welche Unternehmen die Nachhaltigkeitskriterien der Taxonomie erfüllen. Im Ergebnis soll es Anlegerinnen damit erleichtert werden, ihr Geld in nachhaltige Wirtschaftsbranchen zu investieren. Die EU erhofft sich dadurch eine verstärkte Förderung von umweltfreundlichen Unternehmen auf Kosten der weniger nachhaltigen Konkurrenz.
Und was genau ist bitte nachhaltig?
Welche Wirtschaftsbranchen ökologisch nachhaltig sind, ist in der Taxonomie-Verordnung selbst nicht festgelegt. Dafür hat die Kommission – richtig geraten! – eine weitere Verordnung erlassen, in der genau beschrieben ist, unter welchen Voraussetzungen eine bestimmte wirtschaftliche Tätigkeit als nachhaltig eingestuft werden kann.
Für Atomkraft und Erdgas hat die Verordnung bisher aber noch keine Kriterien aufgestellt; und das aus gutem Grund, wie zahlreiche Politikerinnen und Aktivistinnen meinen: Sie wollten das Wirtschaften mit Kernenergie und Gas gänzlich von der Verordnung ausnehmen und befürchteten sogenanntes „Greenwashing“. Davon spricht man, wenn sich Unternehmen zu Unrecht als verantwortungs- und umweltbewusst vermarkten.
Nachhaltigkeitsstempel für Atomkraft und Erdgas
Diese Befürchtungen könnten nun bald Realität werden. Gestern hat sich das Europäische Parlament nämlich für eine Aufnahme von Atomkraft und Erdgas in die Taxonomie ausgesprochen: Während 328 Abgeordnete eine Einstufung als „nachhaltig“ befürworteten, stimmten nur 278 gegen eine solche Klassifizierung. Künftig darf die Förderung von Kernenergie und Erdgas also rechtens als nachhaltig beworben werden. Das Zünglein an der Waage bei dieser Abstimmung dürfte vor allem Frankreich gewesen sein: Für die dortige Energiewirtschaft spielt Atomenergie eine besonders wichtige Rolle, die auch weiterhin gewinnbringend ins Ausland exportiert werden soll.
Von jetzt an kann die Umsetzung des Kommissionsvorschlags damit nur noch durch den Rat der Europäischen Union verhindert werden: Dort müssten sich 20 der 27 Mitgliedstaaten gegen Atomkraft und Gas aussprechen. Ein solches Veto gilt allerdings als äußerst unwahrscheinlich.
Kurz gesagt
Die Europäische Union verfolgt mehrere Initiativen gegen den Klimawandel: Unter anderem hat sie einen „Aktionsplan für nachhaltiges Finanzwesen“ vorgelegt, der private Investitionen in ökologisch nachhaltige Unternehmen fördern soll.
Dafür wurde die Taxonomie-Verordnung erlassen. Sie legt fest, wann eine wirtschaftliche Tätigkeit als nachhaltig bezeichnet werden darf. Die Offenlegungsverordnung knüpft an die Taxonomie an und verpflichtet Aktienfonds und andere Anbieter dazu offenzulegen, wie nachhaltig die von ihnen gehandelten Unternehmen sind.
Unklar war bis zuletzt, ob auch Atomenergie und Erdgas als nachhaltig eingestuft werden sollen; Klimaaktivistinnen und die österreichische Politik haben sich vehement dagegen ausgesprochen. Die gestrige Abstimmung im Europäischen Parlament ist dennoch zugunsten der Nachhaltigkeit dieser Energieträger ausgefallen.
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