Shitstorm I: Teilnahme am Shitstorm kann ganz schön ins Geld gehen
Ein sogenannter „Shitstorm“ im Internet kann für Opfer eine immense Belastung darstellen und deren Privatsphäre auf gravierende Weise verletzen. Um dem entgegenzuwirken, hat der Oberste Gerichtshof (OGH) kürzlich eine wegweisende Entscheidung erlassen, die von Expertinnen gar als juristische „Sensation“ bezeichnet worden ist. Shitstorm-Opfern kann nämlich für erlittene Kränkungen und Rufschädigungen Schadenersatz zustehen. Laut OGH können dabei einzelne an einem Shitstorm Beteiligte zum Ersatz des gesamten Schadens verpflichtet werden. Konkret sprach er dem Opfer 3.000 € zu.
Ausgangsfall
Der Kläger ist Polizist. Bei einem Einsatz wurde er gefilmt. Eine Person veröffentlichte das Video auf Facebook mit folgendem Text: „Lasst dieses Gesicht des Polizisten um die Welt gehen. Dieser Polizist eskalierte bei der Demo in Innsbruck. Ein 82-jähriger unschuldiger Mann wurde zu Boden gerissen, verhaftet, und Stundenlang verhört. Dieser Polizist ist schuldig“. In Wahrheit war der Polizist allerdings an keiner derartigen Vorgehensweise gegenüber dem 82-jährigen Mann beteiligt.
Eine andere Person teilte das Posting aus Unmut auf ihrem Facebook-Profil. Diese andere Person wurde vom Polizisten verklagt. Sie nahm in Kauf, ein Bild des Polizisten ohne Prüfung des Wahrheitsgehalts zu verbreiten. Später löschte die Person den Beitrag wieder.
Der Polizist machte 406 Personen ausfindig, die den Beitrag ebenfalls geteilt hatten. Dabei fanden sich Kommentare wie „sicher so ein wixer der nur in da Uniform stark ist“ und „Weg mit diesem scheiß Polizist“. Der Polizist wurde von Familienmitgliedern, Freundinnen und Kolleginnen darauf angesprochen. Die Situation war für ihn sehr beschämend und belastend.
Immaterieller Schadenersatz
Der Polizist litt dadurch an Ängsten, grüblerischen Gedanken und Stress. Dabei handelt es sich um sogenannte „immaterielle Schäden“, für welche er Schadenersatz verlangte und auch erhielt. Denn unter immateriellen Schäden versteht man nicht in Geld messbare Schäden durch Gefühlsbeeinträchtigungen (z.B. auch Kränkungen). Rechtsgrundlagen für den Ersatz immaterieller Schäden finden sich unter anderem im Bildnis- bzw. Datenschutzrecht. Dadurch sind auch Fotos von Personen geschützt. Diese dürfen nicht ohne Weiteres veröffentlicht werden.
Zum Begriff „Shitstorm“
Der OGH hatte für die Haftung von Shitstorm-Teilnehmenden erstmals zu klären, was denn überhaupt ein Shitstorm ist. Unter „Shitstorm“ wird laut OGH ein „Sturm der Entrüstung im virtuellen Raum“ mit zum Teil beleidigenden Äußerungen gegen eine Person verstanden. Er entsteht durch Zusammenwirken vieler Personen. Das Opfer wird somit nicht bloß von einer Person, sondern „hagelartig“ von vielen Menschen angegriffen. Auch im gegenständlichen Fall lag ein Shitstorm vor.
Haftung für den gesamten Schaden
Der OGH hielt fest: Zwar entsteht ein Shitstorm erst durch die Teilnahme vieler. Wer sich aber daran beteiligt, muss damit rechnen, dem Opfer zunächst allein den gesamten Schaden zu ersetzen. Denn wer ein Shitstorm-Posting teilt, muss ebenso damit rechnen, dass dies zu negativen Reaktionen gegenüber dem Opfer führt. Durch den Aufruf zur Weiterverbreitung wird die Wirkung verstärkt.
Die vom Opfer verklagte Person muss daher vollen Schadenersatz leisten. Wenn sie selbst Rückersatz will, muss sie weitere mitverantwortliche Shitstorm-Beteiligte suchen. Die Schadenersatzpflicht ist dann unter den Beteiligten aufzuteilen.
Kurz gesagt
Ein Shitstorm ist ein „Sturm der Entrüstung im virtuellen Raum“ mit zum Teil beleidigenden Äußerungen gegen eine Person.
Das Opfer eines Shitstorm kann Gesamt-Schadenersatz von einer einzelnen am Shitstorm teilnehmenden Person verlangen.
Es obliegt den Shitstorm-Teilnehmenden, die Schadenersatzpflicht untereinander aufzuteilen.
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Elias Schechtl kennt die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs wie seine Westentasche. Als langjähriger wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wiener Juridicum setzt er sich nicht nur (wie in diesem Beitrag) intensiv mit dem Zivilrecht, sondern auch mit dem Zivilverfahrensrecht auseinander. Trotz - oder gerade aufgrund seines großen Arbeitseifers hat Elias Zeit gefunden, um in diesem Gastbeitrag ein Stück seines Know-How mit uns zu teilen - Vielen Dank!
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