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  • AutorenbildNikolaus Handig

Schweine, Vollspaltenböden und der Verfassungs-gerichtshof

Der Verfassungsgerichtshof hat eine Regelung des Tierschutzgesetzes aufgehoben, der zufolge bestimmte Vollspaltenbuchten in Schweinehaltungsbetrieben erst bis zum Jahr 2040 umgebaut sein müssen. Von Tierschützerinnen gab es dafür Beifall, aus der Landwirtschaft gab es mitunter Kritik – und hier gibt es eine Erklärung der juristischen Hintergründe.


Es waren natürlich nicht die direkt Betroffenen, also Schweine, die sich an den Verfassungsgerichtshof (VfGH) gewandt haben. Für die Schweine stark gemacht hat sich vielmehr die Burgenländische Landesregierung. Eine Landesregierung kann nämlich gemäß Artikel 140 Absatz 1 Ziffer 2 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) Bundesgesetze beim VfGH anfechten, wenn sie meint, dass diese verfassungswidrig seien.


Das war hier der Fall: Die Landesregierung brachte vor, einzelne Bestimmungen des Tierschutzgesetzes (sowie der 1. Tierhaltungsverordnung, auf die hier aber nicht weiter eingegangen wird) würden gegen § 2 des Bundesverfassungsgesetzes über die Nachhaltigkeit, den Tierschutz, den umfassenden Umweltschutz, die Sicherstellung der Wasser- und Lebensmittelversorgung und die Forschung (kurz: BVG Nachhaltigkeit) sowie gegen Artikel 7 des B-VG verstoßen. Warum, dazu sogleich.


Praktische Spalten und Tierleid

Vorher aber noch zu den angefochtenen Bestimmungen: Im Jahr 2022 wurde Absatz 2a in § 18 des Tierschutzgesetzes eingefügt, der besagt, dass die Haltung von Schweinen in unstrukturierten Vollspaltenbuchten ohne Funktionsbereich (das wäre z. B. ein Liegebereich) verboten ist. Vollspaltenbuchten haben einen Betonboden, in den Spalten eingelassen sind (oft ist deshalb auch nur von „Vollspaltenböden“ die Rede), durch die Kot und Urin der Tiere in eine darunter befindliche Güllegrube gelangen. Das ist praktisch für die Menschen, die Schweine halten, aber die Tiere leiden darunter.


Generell verboten sind solche Vollspaltenbuchten allerdings erst ab dem Jahr 2040, weil alle Schweinehalterinnen, die Vollspaltenbuchten bereits vor dem 1. Jänner 2023 eingesetzt haben, bis dahin Zeit zum Umbau bekommen. Die Anfechtung der Burgenländischen Landesregierung richtete sich im Wesentlichen gegen diese Übergangsfrist.


Tierschutz und Sachlichkeit

Dazu stützte sie sich einerseits auf § 2 BVG Nachhaltigkeit, der denkbar kurz ist: „Die Republik Österreich (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich zum Tierschutz.“ Andererseits machte sie Artikel 7 B-VG geltend, der schon etwas umfangreicher ist, wobei sein wesentlichster Satz lautet: „Alle Staatsbürger sind vor dem Gesetz gleich.“ Aus diesem Satz leitet der VfGH in seiner Rechtsprechung nicht nur ab, dass Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln ist, sondern insbesondere auch, dass gesetzliche Regelungen sachlich gerechtfertigt sein müssen.


Aber warum wurde denn nun eigentlich eine so lange Übergangsfrist eingeräumt? Vor allem, um die Investitionen zu schützen, die Landwirtinnen bereits getätigt haben. Dahinter steht der sogenannte Vertrauensschutz: Unter besonderen Umständen hält der VfGH das Vertrauen auf den unveränderten Fortbestand der geltenden Rechtslage nämlich für schützenswert. In solchen Fällen sind Änderungen der Rechtslage zwar möglich, bedürfen aber Übergangsfristen. Schließlich entstehen für jene Landwirtinnen, die im Vertrauen auf die geltende Rechtlage unstrukturierte Vollspaltenbuchten ohne Funktionsbereich gebaut haben, der Bedarf nach einem Umbau ihrer Betriebe und damit zusammenhängend hohe Kosten.


Zu viel Schutz für Investitionen, zu wenig für Schweine

Die 17-jährige Frist konnte allerdings auch der Vertrauensschutz nicht rechtfertigen. Weil das Gesetz die Haltung von Schweinen in unstrukturierten Vollspaltenbuchten ohne Funktionsbereich im Hinblick auf den Tierschutz verbiete, sei es sachlich nicht gerechtfertigt, wenn das Gesetz mit einer so langen Übergangsfrist den Tierschutz gegenüber dem Investitionsschutz nicht ausreichend berücksichtige, meinte der VfGH.


Außerdem hält er die Unterscheidung zwischen Betreiberinnen von Schweinehaltungsanlagen, die einen Betrieb ab dem 1. Jänner 2023 neu errichten bzw. umbauen, und solchen, die schon vor diesem Stichtag ein Anlage betrieben haben, für eine unsachliche Ungleichbehandlung. Immerhin würden so höhere Markteintrittskosten auferlegt und diese Ungleichheit in Bezug auf den Wettbewerb der Schweinebäuerinnen untereinander für 17 Jahre aufrechterhalten werden.


Im Ergebnis hielt der VfGH die 17-jährige Übergangsfrist deshalb für verfassungswidrig. Er hob sie auf, allerdings erst mit Wirkung ab dem 1. Juni 2025. Bis dahin bleibt dem Bundesgesetzgeber Zeit, um eine neue gesetzliche Regelung mit einer angemessenen Übergangsfrist zu schaffen. Die muss natürlich kürzer sein als 17 Jahre – alles andere wäre eine Schweinerei.


Kurz gesagt:

  • Vollspaltenböden sind Betonböden, in die Spalten eingelassen sind, durch die Kot und Urin von Tieren in eine darunter befindliche Güllegrube gelangen. Tiere, die in Vollspaltenbuchten (also Bereichen mit solchen Böden) gehalten werden, leiden darunter.

  • Das Tierschutzgesetz sieht ein generelles Verbot der Haltung von Schweinen in unstrukturierten Vollspaltenbuchten ohne Funktionsbereich erst ab dem Jahr 2040 vor, weil alle Schweinehalterinnen, die Vollspaltenbuchten bereits vor dem 1. Jänner 2023 eingesetzt haben, bis dahin Zeit um Umbau bekommen.

  • Der VfGH hat die 17-jährige Übergangsfrist als verfassungswidrig aufgehoben, weil sie in unsachlicher Weise den Tierschutz gegenüber dem Investitionsschutz nicht ausreichend berücksichtige und weil die Regelung außerdem eine unsachliche Ungleichbehandlung im Wettbewerb der Schweinehalterinnen bedeute.

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