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Scharia in Österreich?

  • Autorenbild: Nikolaus Handig
    Nikolaus Handig
  • vor 12 Minuten
  • 3 Min. Lesezeit

In den vergangenen Tagen gab es viel Wirbel um ein Gerichtsurteil, das die Anwendung von Vorschriften der Scharia, also des islamischen Rechts, für zulässig befand. Aus rein rechtlicher Sicht ist das allerdings nicht so skandalös, wie die politischen Reaktionen vermuten lassen würden.

 

Aber von vorne: Ausgangspunkt der Aufregung war die Berichterstattung über ein Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien zur Gültigkeit eines Schiedsspruchs. Dazu gilt es zu wissen: In Schiedsverfahren werden privatrechtliche Streitigkeiten (also insbesondere solche über Geld) anstatt von staatlichen Gerichten durch nichtstaatliche Entscheidungsorgane, sogenannte Schiedsgerichte, entschieden.

 

Ein solches Schiedsverfahren kommt dann zur Anwendung, wenn die Streitparteien dies vereinbaren. Der Grund für eine derartige Vereinbarung kann etwa darin liegen, dass Schiedsverfahren häufig kürzer dauern als Verfahren vor staatlichen Gerichten. Die rechtlichen Rahmenbedingungen rund um Schiedsverfahren sind in Österreich in §§ 577 ff Zivilprozessordnung (ZPO) geregelt.

 

Welches Recht in einem Schiedsverfahren angewendet wird, ist Vereinbarungssache. Dabei kann es sich um staatliches, also z. B. deutsches oder französisches Recht handeln, aber auch andere Regeln können vorgesehen werden (besonders beliebt ist das sogenannte UNCITRAL-Modellgesetz). Sogar eine Entscheidung nach Billigkeit könnte vereinbart werden.

 

Wichtig ist jedoch, dass das anzuwendende Recht nicht zu einem Ergebnis führt, das gegen tragende Grundsätze der österreichischen Rechtsordnung verstößt – sonst könnte der Schiedsspruch vor einem staatlichen Gericht angefochten werden und wäre von diesem aufzuheben. Eine wesentliche Bestimmung hierbei ist § 611 Absatz 2 Ziffer 8 ZPO, der ausdrücklich besagt: „Ein Schiedsspruch ist aufzuheben, wenn der Schiedsspruch Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung (ordre public) widerspricht.

 

Das führt zu dem Fall, der die ganze Aufregung verursacht hat: Zwei Männer hatten beschlossen, dass ein Schiedsgericht „anhand der islamischen Rechtsvorschriften (Ahlus-Sunnah wal-Jamaah) nach Billigkeit in der Sache nach bestem Wissen und Gewissen“ entscheiden sollte. Das tat das Schiedsgericht und entschied, dass der eine dem anderen über eine Million Euro zahlen sollte. Da der Verpflichtete das offensichtlich nicht wollte, stellte er die Rechtmäßigkeit des Schiedsspruches in Frage – die dann wiederum von einem staatlichen Gericht zu beurteilen war.

 

Dieses staatliche Gericht, konkret das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien, stellte fest: Islamische Rechtsvorschriften können für vermögensrechtliche Ansprüche in einer Schiedsvereinbarung wirksam vereinbart werden. Und weiter: „Unabhängig davon, ob (einzelne) Bestimmungen des islamischen Rechts gegen den ordre public verstoßen, ist nach § 611 Absatz 2 Ziffer 8 ZPO (nur) zu prüfen, ob das Ergebnis des Schiedsspruchs gegen die Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung verstößt. Anhaltspunkte für einen ordre public Verstoß oder eine allfällige willkürliche Entscheidung liegen hier nicht vor […]“.

 

Im konkreten Fall sah das Gericht also kein Problem mit dem Ergebnis, dass die Anwendung der Scharia-Regeln mit sich brachte. Dass andere Inhalte der Scharia nicht mit den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung vereinbar sind, z. B. die zur Auflösung einer Ehe führende einseitige Verstoßung der Ehefrau durch den Ehemann („Talāq“), stand in dem Verfahren und steht auch sonst gar nicht in Frage.

 

Die Scharia ist in Österreich also grundsätzlich nicht anwendbar. In Schiedsvereinbarungen können Streitparteien ihre Anwendung für vermögensrechtliche Ansprüche aber vorsehen, wenn dadurch nicht tragende Grundsätze der österreichischen Rechtsordnung verletzt werden. Expertinnen warnen deshalb vor vorschnellen Reaktionen auf diesen Skandal, der eigentlich keiner ist.

 

Dass man die Vereinbarung, Regelungen der Scharia anzuwenden – mögen sie für sich genommen auch bloß vermögensrechtlich und noch so unproblematisch sein –, für eine politisch betrachtet bedenkliche Entwicklung halten kann, steht auf einem anderen Blatt.

 

Kurz gesagt:

  • In Schiedsverfahren werden privatrechtliche Streitigkeiten (also insbesondere solche über Geld) anstatt von staatlichen Gerichten durch nichtstaatliche Entscheidungsorgane, sogenannte Schiedsgerichte, entschieden.

  • Welches Recht in einem Schiedsverfahren angewendet wird, ist Vereinbarungssache; es darf jedoch nicht zu einem Ergebnis führen, das Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung widerspricht.

  • Die Scharia ist in Österreich grundsätzlich nicht anwendbar, in Schiedsvereinbarungen können Streitparteien ihre Anwendung für vermögensrechtliche Ansprüche aber vorsehen, wenn dadurch nicht tragende Grundsätze der österreichischen Rechtsordnung verletzt werden.

 
 
 

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