Benjamin Weber
Kann Russland verurteilt werden? – Gerichte im Völkerrecht
Ganz Europa schaut mit Entsetzen auf den Konflikt in der Ukraine. Der Angriff Russlands verursacht unermessliches menschliches Leid und verletzt einen Eckpfeiler des Völkerrechts – das sogenannte Gewaltverbot. Dieses findet sich vor allem in Artikel 2 Absatz 4 der UN-Charta, das ist die Satzung der Vereinten Nationen (UN). Die russische Invasion fällt unter den völkerrechtlichen Begriff der Gewalt und ist damit verboten. Kann die Ukraine nun rechtlich gegen Russland vorgehen und dadurch den Konflikt beenden oder muss sie auf ihre Verteidigungsfähigkeit und die Solidarität anderer Staaten hoffen?
Hier zeigt sich eine der Besonderheiten des Völkerrechts – die Durchsetzung zwischen souveränen Staaten ist oft problematisch. Trotzdem haben die internationale Staatengemeinschaft und die Ukraine bereits einige Schritte unternommen:
UN-Vollversammlung
Gestern Nachmittag erließ die UN-Vollversammlung eine Resolution, mit der unter anderem die Aggression Russlands und der Verstoß gegen das Gewaltverbot verurteilt wurden. Russland wurde außerdem aufgefordert , den Angriff auf die Ukraine zu beenden. Weil es sich um eine Frage hinsichtlich der internationalen Sicherheit handelte, wurde eine 2/3 Mehrheit der abgegeben Stimmen benötigt. Von allen 193 anwesenden Staaten stimmten 141 Staaten für die Resolution (auch Österreich), 5 Staaten (Russland, Belarus, Nordkorea, Eritrea und Syrien) gegen sie und 35 Staaten enthielten sich. Die große Anzahl der Staaten, die für die Resolution stimmten, hat eine große symbolische Bedeutung - rechtlich handelt es sich allerdings nur um eine Empfehlung, an die sich die Staaten nicht halten müssen
UN-Sicherheitsrat
Der aus 15 Mitgliedern bestehende UN-Sicherheitsrat kann Beschlüsse fällen, die für alle Mitglieder bindend sind. Das Problem: Russland hat als ständiges Mitglied (neben den anderen Mitgliedern der „P5“ (permanent five): Frankreich, UK, USA und China) ein Vetorecht. Dieses hat Russland wenig überraschend bereits eingesetzt und damit eine Resolution verhindert, die Russland unter anderem aufgefordert hätte, den Angriff sofort zu beenden.
Internationaler Gerichtshof (IGH)
Die UN verfügen auch über ein Gericht – den sogenannten Internationalen Gerichtshof (IGH). Das Problem: Ohne die Einwilligung Russlands darf der IGH grundsätzlich nicht entscheiden. Russland hat im Gegensatz zu Österreich nicht erklärt, dass der IGH über alle zukünftigen Streitigkeiten betreffend eigene Völkerrechtsverletzungen entscheiden darf. Eine Einwilligung Russland ist nicht zu erwarten. Trotzdem hat die Ukraine einen Antrag gegen Russland beim IGH eingereicht und die Verhängung von einstweiligen Maßnahmen gegen Russland verlangt. Wie ist das möglich? Sowohl Russland als auch die Ukraine sind Parteien der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes. Der IGH entscheidet über Streitigkeiten, die die Konvention betreffen – eine Einwilligung Russlands für den Einzelfall ist nicht notwendig. Russland rechtfertigt den Krieg unter anderem damit, dass die Ukraine einen Völkermord an der russischen Minderheit begehen würde. Da es diesen Völkermord nicht gibt, verletzt Russland durch diese Rechtfertigung laut der Ukraine die Konvention. Außerdem sei es Russland, das einen Völkermord an den Ukrainerinnen begehen würde. Der IGH hat die Verhandlungstermine bereits für den 7. und 8. März angesetzt.
Internationaler Strafgerichtshof (IStGH)
Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH oder ICC) ist zuständig für die mutmaßlichen Verbrechen des Völkermords, als auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und das Verbrechen der Aggression. Weder die Ukraine noch Russland sind (im Gegensatz zu 123 anderen Staaten, darunter Österreich) Parteien des IStGH. Trotzdem leitete der Chefankläger des IStGH Ermittlungen ein, weil er überzeugt ist, dass es eine vernünftige Grundlage für die Annahme gäbe, dass in der Ukraine sowohl mutmaßliche Kriegsverbrechen als auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen worden sind. Das kann er im vorliegenden Fall tun, weil die Ukraine die Gerichtsbarkeit für diese Fälle anerkannt hat. Um die Ermittlungen einleiten zu können, wird noch eine Ermächtigung des Gerichtes benötigt.
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ist zuständig für die Überprüfung der Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Sowohl die Ukraine als auch Russland sind Parteien der EMRK. Auf Antrag der Ukraine erließ der EGMR am Dienstag eine vorläufige Maßnahme und forderte die russische Regierung auf, militärische Angriffe gegen Zivilpersonen und zivile Objekte zu unterlassen (insbesondere Wohnorte, Schulen, Krankenhäuser, medizinische Einrichtungen und medizinischen Personals).
Kurz gesagt:
Die UN-Vollversammlung hat Russland verurteilt – diese Entscheidung hat jedoch nur Empfehlungscharakter und ist nicht verbindlich. Russland hat als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates eine Resolution verhindert. Diese wäre rechtlich bindend.
Im Völkerrecht stellt sich oft die Frage, ob das Gericht überhaupt zuständig ist, da die Staaten der Zuständigkeit zustimmen müssen.
Mittlerweile haben mehrere Gerichte Verfahren gegen Russland eingeleitet oder, wie der EGMR, bereits Maßnahmen ausgesprochen.
Unter folgendem Link findet ihr Möglichkeiten, wie ihr die Ukraine und Ukrainerinnen unterstützen könnt: https://how-to-help-ukraine-now.super.site/.