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Gnade vor Recht? Weihnachtsamnestie in Österreich

Autorenbild: David von der ThannenDavid von der Thannen

Der Heilige Abend steht vor der Tür. Allerorts erreicht die Vorfreude auf ein fröhliches Weihnachtsfest dieser Tage ihren Höhepunkt und unabhängig ob christlichen Glaubens oder nicht: Die meisten Menschen in Österreich feiern an diesem Wochenende ein „Fest der Nächstenliebe“. Dabei wissen aber nur die allerwenigsten, dass diese Nächstenliebe sogar im österreichischen Strafrecht ihren Niederschlag findet. Anlässlich des Weihnachtsfests begnadigt die Bundespräsidentin nämlich alljährlich mehrere Strafgefangene. Aber was ist darunter zu verstehen? Und widerspricht ein solcher Gnadenakt nicht den Grundprinzipien des österreichischen Rechtsstaats?


Das Bundes-Verfassungsgesetz höchstselbst räumt der Bundespräsidentin die Befugnis ein, rechtskräftig verurteilte Straftäterinnen zu begnadigen (Artikel 65 B-VG). Kurz gesagt, kann sie also anordnen, Straftäterinnen schon vor Ende ihrer Haftstrafe aus dem Gefängnis zu entlassen. Von dieser Befugnis machen die österreichischen Bundespräsidentinnen auch reichlich Gebrauch: Jedes Jahr finden hierzulande mehrere Dutzend Begnadigungen statt. Gerade die sogenannte Weihnachtsamnestie hat in Österreich besondere Tradition.


Dabei mag die Idee von Strafbegnadigungen selbst für erfahrene Juristinnen durchaus merkwürdig wirken. Schließlich urteilen im Rechtsstaat doch unabhängige Gerichte über das Fehlverhalten vermeintlicher Straftäterinnen. Das Strafgesetzbuch gibt den Gerichten dazu präzise Leitlinien an die Hand, indem es sowohl die strafbaren Handlungen als auch den dafür jeweils vorgesehenen Strafrahmen festlegt. Wer etwa einen Diebstahl begeht, ist „mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten (…) zu bestrafen“ (§ 127 StGB). Dadurch soll sichergestellt werden, dass jede Straftäterin ihrer gerechten Strafe zugeführt wird.


Die Bundespräsidentin ist aber kein unabhängiges Gericht, sondern das vom Volk gewählte, oberste Vollziehungsorgan der Republik. Insofern könnte man sich um die Unabhängigkeit der Justiz sorgen, wenn deren Entscheidungen nachträglich und ohne weiteres die Aufhebung durch die Bundespräsidentin droht.


Dementsprechend müssen der Begnadigung juristisch zumindest enge Grenzen gesetzt werden, um Missbrauchspotential zu minimieren. Selbstverständlich wäre es unvertretbar, wenn die Bundespräsidentin unter Berufung auf den Gnadenanlass „Weihnachten“ selbst Mörderinnen oder Sexualstraffällige auf freien Fuß setzen könnte.


Für die Weihnachtsamnestie kommuniziert das Justizministerium daher alljährlich sogenannte Erlässe an die Leiterinnen der österreichischen Gefängnisse, in denen die Voraussetzungen für eine Begnadigung festgelegt werden. Dabei wird vor allem auf die Haftdauer der verurteilten Straftäterinnen abgestellt: Wer zu einer über fünfjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, kommt für eine Amnestie keinesfalls in Frage. Dasselbe gilt – wie bereits angedeutet - für Personen, die wegen Sexualstraftaten oder absichtlichen Körperverletzungen verurteilt worden sind. Zudem müssen die Straftäterinnen zumindest ein Drittel ihrer Freiheitsstrafe verbüßt („abgesessen“) haben.


Kommt eine Strafgefangene auf Grundlage dieser Voraussetzungen für eine Begnadigung in Frage, sind der Bundespräsidentin verschiedenste Dokumente und Informationen zur Person zu übermitteln: Hat die Gefangene bereits eine Arbeitsstelle in Aussicht? Verfügt sie über einen gesicherten Wohnort? Gibt es Personen, die bei der sozialen Wiedereingliederung in die Gesellschaft unterstützen können? Auf dieser Grundlage wählt die Bundespräsidentin schließlich die zu begnadigenden Personen aus. Die begnadigten Straftäterinnen werden bedingt („auf Bewährung“) aus der Haft entlassen. Sie müssen also zurück ins Gefängnis und ihre noch offene Strafe verbüßen, wenn sie innerhalb von drei Jahren neuerlich straffällig werden.


Begnadigung – große Güte oder ungerechte Willkür?

Angesprochen auf die Weihnachtsbegnadigungen meinte der ehemalige Bundespräsident Rudolf Kirchschläger einmal, diese seien ein Akt menschlicher Liebe, abgeleitet aus göttlicher Liebe. Keine Frage, dieses Statement mutet sehr weihnachtlich und versöhnlich an. Gleichzeitig wirft es aber die Frage auf, ob in einem Rechtssystem, das strikt zwischen Staat und Kirche trennt, überhaupt Platz für „göttliche Liebe“ ist? Und wie gerecht sind solche Gnadenakte gegenüber all jenen Gefangenen, denen dieses Glück nicht zuteilwird, obwohl sie die formellen Amnestievoraussetzungen genauso erfüllen würden? Besonders schwer wiegen diese Argumente deshalb, weil Begnadigungen der Bundespräsidentin auch nicht gerichtlich überprüft werden dürfen. Dieser Kritik halten Befürworterinnen der Begnadigungen entgegen, dass sie Gefangene in besonderem Ausmaß zum Wohlverhalten während ihrer Haft motivieren würden. Wer im Gefängnis ein vorbildliches Verhalten an den Tag lege, verbessere schließlich seine eigenen Chancen auf eine Amnestie.

Ob diese Begründung allein zur Rechtfertigung der Begnadigungsregeln ausreicht, wird wohl noch lange heiß diskutiert bleiben. Bis dahin bleibt zu hoffen, dass begnadigte Straftäterinnen das Weihnachtsgeschenk einer Amnestie zumindest sorgsam behandeln und die ihnen entgegengebrachte „Nächstenliebe“ durch einen vorbildlichen Lebenswandel zurückzahlen.

Kurz gesagt

  • Die Bundespräsidentin ist dazu ermächtigt, verurteilte Straftäterinnen in Einzelfällen zu begnadigen. Sie kann Gefangene somit entgegen einer gerichtlichen Entscheidung frühzeitig aus der Haft entlassen. Zur Weihnachtszeit findet jedes Jahr eine größere Begnadigungsaktion statt („Weihnachtsamnestie“).


  • Nicht jede Gefangene kommt für eine Begnadigung in Frage. Wer besonders schwere Verbrechen begangenen hat, ist von der Amnestie genauso ausgeschlossen wie Straftäterinnen, die noch nicht zumindest ein Drittel ihrer Strafhaft verbüßt haben.

  • Durch die Möglichkeit einer frühzeitigen Entlassung sollen Straftäterinnen zu einem vorbildlichen Lebenswandel im Gefängnis motiviert werden. Kritikerinnen wenden dagegen ein, Begnadigungen würden gegen Grundprinzipien des modernen Rechtsstaats verstoßen und willkürlichen Enthaftungen Tür und Tor öffnen.

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