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  • AutorenbildNikolaus Handig

Alle Räder stehen still? Ein Einmaleins zum Streik

Die Eisenbahnerinnen haben es gemacht, Brauerei-Angestellte auch, die Handelsangestellten werden es nun doch nicht tun – Streiken ist derzeit in aller Munde. Warum eigentlich? Und dürfen die das?

Zuerst Begriffliches. Von einem Streik ist dann die Rede, wenn Arbeitnehmerinnen ihre Arbeitsleistung einstellen, um die Tätigkeit des Betriebs ihrer Arbeitgeberinnen zu stören und ihnen dadurch wirtschaftliche Verluste zuzufügen. Damit will die Arbeitnehmerinnenseite ihre Interessen durchsetzen, besonders bei Kollektivvertragsverhandlungen – was uns zum nächsten erklärungsbedürftigen Wort führt. Ein Kollektivvertrag ist eine Vereinbarung, die zwischen einer Interessenvertretung der Arbeitgeberinnen (vor allem Fachverbände der Wirtschaftskammer) sowie einer Interessenvertretung der Arbeitnehmerinnen (insbesondere dem Österreichischen Gewerkschaftsbund mit seinen Teilgewerkschaften) einer bestimmten Branche abgeschlossen werden. Darin werden z. B. Mindestlöhne, Arbeitszeiten und Urlaubsgeld geregelt. Alle gültigen Kollektivverträge sind übrigens online abrufbar. Verträge wie Gesetze Das Besondere an Kollektivverträgen ist, dass die darin getroffenen Regelungen in einem Arbeitsvertrag weder aufgehoben noch beschränkt werden können (so steht es ausdrücklich in § 3 Absatz 1 Arbeitsverfassungsgesetz). Dabei wirken Kollektivverträge wie Gesetze. In vielen Branchen finden Verhandlungen über solche Kollektivverträge jährlich statt, unter anderem um die Gehälter an die Inflation anzupassen. Die Vorstellungen über die Inhalte, vor allem die Löhne, liegen naturgemäß oft weit auseinander. Das kann Kollektivvertragsverhandlungen zwischen den Interessenvertretungen mühsam machen. Um Druck auszuüben und etwa Lohnerhöhungen zu erwirken, können Arbeitnehmerinnen – in der Regel nachdem andere Maßnahmen und Schlichtungsversuche gescheitert sind – streiken. Dabei werden verschiedene Formen des Streiks unterschieden: Ein Warnstreik ist zeitlich befristet und soll dem Gegenüber den Ernst der Lage verdeutlichen. Bei einem Generalstreik legen alle Beschäftigten eines Landes die Arbeit nieder, bei einem Vollstreik die Beschäftigten einer Branche und bei einem Teilstreik – der Name ist Programm – nur ein bestimmter Teil der Beschäftigten. Recht auf Streik? Artikel 28 der Grundrechtecharta der EU räumt Arbeitnehmerinnen das Recht ein, „bei Interessenkonflikten kollektive Maßnahmen zur Verteidigung ihrer Interessen, einschließlich Streiks, zu ergreifen.“ Ein ausdrückliches Streikrecht also. Das Problem dabei ist nur: Die Grundrechtecharta der EU ist bei rein innerstaatlichen Angelegenheiten nicht anwendbar. Das ist bei Artikel 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention anders: Die Bestimmung beinhaltet das stets zu beachtende Grundrecht der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sowie das Recht, „Gewerkschaften zu bilden und diesen beizutreten.“ Daraus leiten manche auch ein Streikrecht ab. Je nachdem, ob man ein solches Streikrecht bejaht oder verneint, kann die Teilnahme an einem Streik eine Arbeitgeberin dazu berechtigen, ihre streikende Arbeitnehmerin zu entlassen – oder eben nicht. Praktisch ist es jedenfalls so, dass Streiken nicht verboten ist – niemand muss also Geld- oder gar Freiheitsstrafen fürs Streiken fürchten. Für die Zeit des Streikens steht einer Arbeitnehmerin allerdings kein Lohn zu, weil sie ja absichtlich nicht arbeitet. Kooperation statt Konfrontation Die jüngsten Streiks sind übrigens etwas Ungewöhnliches: In Österreich wurde bisher nur sehr wenig gestreikt, anders als z. B. in Italien der Frankreich. Das liegt vor allem an der sogenannten Sozialpartnerschaft. Darunter wird die Zusammenarbeit der großen wirtschaftlichen Interessenverbände Österreichs (Arbeitskammer, Gewerkschaftsbund, Landwirtschaftskammer und Wirtschaftskammer) verstanden. Dabei lag der Fokus stets auf Kooperation statt Konfrontation. Seit 2008 ist die die Sozialpartnerschaft sogar in der Verfassung verankert. § 120a Absatz 2 Bundes-Verfassungsgesetz lautet: „Die Republik anerkennt die Rolle der Sozialpartner.“ Und die spielen ihre Rolle wohl auch ganz gut. Manchmal wird eben trotzdem gestreikt.


Kurz gesagt:

  • Bei einem Streik stellen Arbeitnehmerinnen ihre Arbeitsleistung ein, um die Tätigkeit des Betriebs ihrer Arbeitgeberinnen zu stören, ihnen dadurch wirtschaftliche Verluste zuzufügen und ihre Interessen durchzusetzen (insbesondere bei Verhandlungen über Kollektivverträge).

  • Für die Zeit des Streikens steht einer Arbeitnehmerin kein Lohn zu, weil sie ja absichtlich nicht arbeitet.

  • Streiks waren in Österreich aufgrund des Modells der Sozialpartnerschaft bislang ein sehr seltenes Phänomen.

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