Abschied von der digitalen Steinzeit? Reform der Sicherstellung von Handys
Forderungen der Rechtsanwaltskammer nach strengeren Regeln für Handy-Sicherstellungen werden immer lauter. Es wird kritisiert, dass Datenträger wie beispielsweise Handys oder Laptops als „Gegenstände“ gelten und unter viel zu einfachen Bedingungen sichergestellt werden können. Diese Regelung sei nicht mehr zeitgemäß. In dem Zusammenhang ist unter anderem an folgendes Thema zu denken, das noch in aller Munde ist: die Sicherstellung einer Festplatte im Zuge einer Hausdurchsuchung 2019 bei Thomas Schmid, die zahlreiche Chatnachrichten aufdeckte und Ermittlungen gegen Beschuldigte zufolge hatte. Anlass genug, Fragen nach den aktuellen Bedingungen von Handy-Sicherstellungen sowie der vorgeschlagenen Reform und daraus resultierenden Vor- bzw. Nachteilen, auf den Grund zu gehen.
Wann dürfen nach geltendem Recht Handys oder Laptops sichergestellt werden?
Handys und Laptops werden rechtlich als „Gegenstände“ eingeordnet und dürfen gemäß § 110 Strafprozessordnung bei einer Haus- oder Personendurchsuchung von der Kriminalpolizei zur Sicherung von Beweisen sichergestellt werden. Die Sicherstellung wird grundsätzlich von der Staatsanwältin angeordnet und von der Kriminalpolizei durchgeführt. In Ausnahmefällen, wie zB bei Gefahr in Verzug oder wenn der Besitz der betroffenen Gegenstände allgemein verboten ist (zB Suchtmittel), kann die Kriminalpolizei ohne vorherige Anordnung der Staatsanwaltschaft Gegenstände sicherstellen.
Kritik an der aktuellen Rechtslage
Datenträger wie Handys oder Laptops können somit ähnlich wie Messer relativ einfach sichergestellt werden, was eine einfachere Auswertung der gewonnenen Daten zufolge hat. Anwältinnen sehen das als problematisch, weshalb der Österreichische Rechtsanwaltskammertag „tiefgreifende Reformen“ fordert. Anwaltspräsident Armenak Utudjian meine, die Reform sei dringend notwendig, da die Strafprozessordnung hinsichtlich der Sicherstellung von Datenträgern „aus der digitalen Steinzeit“ stamme, jedoch nichts mit aktuellen Ermittlungen zu tun habe. Die Strafprozessordnung sei zu einem Zeitpunkt reformiert worden, als noch nicht voraussehbar war, dass das Leben für viele Menschen durch Fotos, Chats, Standortdaten über das Handy gespeichert wird. Als Kritikpunkt wird genannt, dass eine solche Sicherstellung von Handys einer Telefonüberwachung bereits sehr nahe kommt, die jedoch im Vergleich zur Sicherstellung nur unter sehr strengen Bedingungen zulässig ist.
Auch die Strafrechtsexpertin Ingeborg Zerbes schließt sich dieser Kritik an und führt aus, dass es aktuell für die Sicherstellungen weder einer richterlichen Bewilligung bedarf noch ein „dringender Tatverdacht“ vorzuliegen hat. Außerdem fehlen laut Zerbes Regeln, wie mit „Zufallsfunden“ umzugehen ist – also wenn auf den betroffenen Datenträgern Material gefunden wird, das abseits der eigentlichen Untersuchung weitere Ermittlungen auslösen könnte.
Inhalt der Reform
Die Strafrechtsprofessorin Zerbes schlägt vor, die Regeln bezüglich der Sicherstellung von Datenträgern an jene der Nachrichtenüberwachung anzupassen. Voraussetzung wäre somit, dass die Staatsanwaltschaft einen „dringenden Tatverdacht“ hat, dass die Betroffene eine Straftat, bei der eine mehr als einjährige Freiheitsstrafe droht, begangen hat. In anderen Worten: Die Betroffene hat mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Straftat begangen, die mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe geahndet wird. Ein weiteres Problem, das im Zuge der geplanten Reform thematisiert wird, ist das fehlende „rechtliche Gehör“ der Beschuldigten. Was heißt das? Nach den aktuell geltenden Regeln erhalten Beschuldigte nach einer Sicherstellung eines Datenträgers nicht ausreichende Informationen, über welche Daten die Behörden nun konkret verfügen. Nach der Reform sollen Beschuldigte binnen kurzer Fristen nach Sicherstellung exakte Kopien des gesamten Datenträgers erhalten.
Kritik an den vorgeschlagenen Neuregelungen
Der Reformvorschlag wird jedoch nicht von allen begrüßt. Befürworterinnen der aktuellen Rechtslage kritisieren die vorgeschlagene Reform vor allem in dem Punkt, dass Handy-Sicherstellungen zukünftig nur bei einem Delikt, bei dem eine mehr als einjährige Freiheitsstrafe droht, möglich sein sollen. Delikte wie zB „Gefährliche Drohungen“ oder „Stalking“ wären damit nicht umfasst. Die Verfolgung solcher Delikte könnte ohne mögliche Sicherstellung von Handys oder Laptops erschwert werden.
Hätte die Reform Auswirkungen auf aktuelle Verfahren?
Auf aktuelle Verfahren, zB die Causa Ibiza, würden sich die vorgeschlagenen Neuregelungen laut der Strafrechtsexpertin Zerbes kaum auswirken. Auch nach einer Reform wären Handy-Sicherstellungen bei Straftaten, die mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht sind, möglich, was bei den aktuellen Verfahren der Fall ist. Auf anderer Ebene würden sich die reformierten Regeln jedoch auswirken: Beschuldige würden aufgrund der Kopien exakt wissen, über welche Daten die Behörden verfügen und aufgrund der eingeschränkten Akteneinsicht würden weniger Ermittlungsdetails ans Licht kommen.
Der Reformvorschlag wird durch Justizministerin Alma Zadić geprüft. Es bleibt spannend, ob die Strafprozessordnung bald reformiert und wie diese Reform konkret ausgestaltet wird.
Kurz gesagt:
Handys und Laptops werden rechtlich als „Gegenstände“ eingeordnet und dürfen gemäß § 110 Strafprozessordnung bei einer Haus- oder Personendurchsuchung unter relativ einfachen Bedingungen von der Kriminalpolizei zur Sicherung von Beweisen sichergestellt werden.
Im Zuge der seitens der Rechtsanwaltskammer vorgeschlagenen Reformen soll die Staatsanwaltschaft Datenträger wie Handys nur mehr sicherstellen können, wenn ein „dringender Tatverdacht“ besteht, dass die Betroffene eine Straftat, bei der eine mehr als einjährige Freiheitsstrafe droht, begangen hat.
Laut Anwaltskammer und Strafrechtsexpertinnen sollen Beschuldigte zukünftig binnen kurzer Frist nach Sicherstellung eine exakte Kopie des gesamten Datenträgers erhalten, um deren rechtliches Gehör zu wahren.
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